Eine Ode an das sich selbst (noch) nicht finden

Wir sind die Generation Y. Oder zumindest werden wir in den Medien so betitelt. Wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir keine Ideale mehr haben, nichts mehr wollen – außer uns selbst zu finden. Gefühlt jeder dritte Mittzwanziger hat bereits die erste Weltreise hinter sich oder war wenigstens doch schon mal in Australien oder Südamerika. Irgendwo weit weg. Wo man tolle Fotos machen und seinen Freunden dann später erzählen kann, wie sehr diese Reise dabei geholfen hat, sich selbst zu finden.
Wir heben positiv hervor, wenn jemand seinen eigenen Stil gefunden hat oder genau weiß, was er will. Das sind die Leute, zu denen wir aufschauen. Wer am einen Tag bekennender Fleischesser und am nächsten Hardcore-Veganer ist, wird nur belächelt – Es sei denn er erkennt die Fehler in seinem bisherigem Verhalten und bekennt, dass er sich zuvor einfach noch nicht selbst gefunden hatte.

Wann und wie findet man sich selbst? 

Doch was heißt das eigentlich? Sich selbst finden? Darf wer sich selbst gefunden hat, seine Meinung nicht mehr ändern, seine Interessen nicht mehr erweitern und seine Pläne nicht mehr umwälzen? Wenn das so ist, dann möchte ich mich gar nicht selbst finden. Klar, es ist toll, mit sich im Reinen zu sein. Zu wissen, dass man zu 100 Prozent hinter dem, was man tut steht. Denn auch das bedeutet es sich selbst zu finden. Gleichzeitig jedoch verändern wir uns immer wieder. Manchmal frage ich mich, ob mein „Ich“ von vor fünf Jahren und mein heutiges „Ich“ noch irgendetwas gemeinsam haben. Oder ob mein zukünftiges „Ich“ über meinen heutigen Blogpost nur den Kopf schütteln kann.
Wir verändern uns – aber das heißt nicht, dass wir zu irgendeinem Zeitpunkt weniger wir selbst sind. Es wird immer wieder neue Einflüsse und Eindrücke in unserem Leben geben, die uns dazu bringen unsere Einstellungen zu überdenken. Selbst Eigenschaften, die wir für existenziell an unserem Charakter halten, von denen wir denken, dass sie uns ausmachen, können sich ändern. Im einen Moment fragen wir uns, wie wir ohne unseren Freund bloß Leben könnten oder glauben, dass unsere langen Haare unser äußeres Erscheinungsbild bestimmen. Dann trennen wir uns und schneiden die Haare ab – nur um zu sehen, dass wir immer noch da sind. Immer noch dieselbe Person, nur mit anderen Wünschen und Ideen.

Veränderungen zulassen

Wer von sich behauptet, sich selbst gefunden zu haben, der behauptet auch schon am Ziel zu sein – und das wo es im Leben doch viel mehr um den Weg geht. Wer glaubt, sich selbst gefunden haben, der lässt Chancen und Gelegenheiten verstreichen und verliert etwas von seiner Offenheit gegenüber der Welt. Der verhält sich wie ein kleines Kind, das fest davon überzeugt ist, dass es Brokkoli nicht mag, ohne ihn ein zweites Mal zu probieren.

Deshalb plädiere ich heute dafür, sich noch nicht selbst zu finden – und stattdessen immer wieder neues auszuprobieren. Sich neu zu erfinden und von den eigenen Fähigkeiten überraschen zu lassen. Wir lernen jeden Tag etwas Neues und das nicht nur über unsere Umwelt, sondern auch über uns selbst. Deshalb sollten wir es uns erlauben, unser Selbstbild immer wieder ändern zu dürfen und auch den ersten Eindruck, den andere von uns hatten zu verbessern, vielleicht auch zu verschlechtern. Ganz einfach zu beweisen, dass wir mehr als nur eine Seite haben. 

4 Kommentare bei „Eine Ode an das sich selbst (noch) nicht finden“

  1. Ach Hanna…Das ist ein so wunderschöner Aufsatz, der sollte am Besten überall gedruckt werden!
    Ich bin ganz deiner Meinung. Ich denke, man findet sich schnell genug und vor allem früh genug noch selbst, bis dahin sollte man alles ausprobieren, was man möchte:
    Werden, wer man sein will!

    Alles Liebe und bis bald,

    Deine Mona von
    Fleur & Fatale

  2. Schöner Text und das Foto passt perfekt dazu! Ich denke Selbstfindung passiert einfach – bei manchen dauerts halt etwas länger, aber das ist irgendwie auch ein Prozess des Älter werdens, denke ich.

  3. Schöner Beitrag, dem ich voll und ganz zustimmen kann.
    Sich selbst immer wieder neu zu erfinden, kann erfrischender sein, als sich bereits gefunden zu haben. Ich finde es gut, dass sich Meinung ändern, man sich selbst verändert. Das gehört zum Leben dazu. Wachsen.
    Sich selbst finden heisst für mich nicht, immer die gleiche Meinung zu vertreten. Viel eher, mit sich im reinen zu sein, zumindest halbwegs zu wissen, wer man ist und wo man hin will.

    "Gefühlt jeder dritte Mittzwanziger hat bereits die erste Weltreise hinter sich oder war wenigstens doch schon mal in Australien oder Südamerika." Bei diesem Satz musste ich grinsen. Interessanter Weise entspricht das genau der Realität und ich frage mich oft, wie die das immer machen.

  4. Hey, also ich finde du schreibst richtig gut ! Also, wenn ich jetzt ganz ehrlich bin, dann passe ich voll und ganz in dieses Generation Y-Schema. Im Januar mache ich auch große Reise – alleine. Was mich mich allgemein ziemlich nervt ist dieses kategorisieren unserer Generation – vor allem von den Medien. Ich frage mich dann immer was daran so schlimm ist, wenn man sich mit sich selber beschäftigt, Dinge im Leben erreichen möchte, aber eben noch nicht genau weiß wie man das macht. Was zur Folge hat, dass man manchmal nur durch große Umwege ans Ziel kommt. Ich glaube dieses oft negative schematisieren kommt oft daher, dass wir erst seit dieser Generation wirklich viele "Selfmade- Möglichkeiten" haben. Das sorgt vielleicht für Neid und Verwirrung…
    Lg Hermine

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.