DER KONTROLLFREAK IN UNS ALLEN

Bevor ich die Wohnung verlasse, überprüfe ich noch drei Mal, dass ich auch wirklich meinen Schlüssel dabei habe. Und mein Geld. Mein Handy. Meine Kopfhörer. Ein Buch. Eine Tube Handcreme. All das, was unterwegs überlebenswichtig ist eben. Wenn man vergesslich ist, dann muss man dem mit allen Mitteln entgegenwirken. Kontrolle heißt da das Zauberwort.
Früher habe ich mir etwas darauf eingebildet, besonders locker und spontan zu sein. Leute, bei denen jeder Stift in Reihe und Glied lag, die den Inhalt jeder Schublade auswendig kannten, konnte ich nicht verstehen. Kontrollfreak, habe ich mir insgeheim gedacht, wenn ich so jemandem begegnet bin. So wirklich ordentlich bin ich noch immer nicht. Aber immer wieder ertappe ich mich doch bei dem Wunsch, die Dinge in meiner Umgebung kontrollieren zu wollen. Früher war es mir egal, wenn Kleidung auf dem Boden lag und das Geschirr noch ungespült auf dem Tisch stand. Heute lässt mich das schlecht schlafen. Es könnte ja jemand auf die schöne Bluse drauftreten – so tollpatschig wie ich bin höchstwahrscheinlich ich selbst – und das dreckige Geschirr könnte Ungeziefer anlocken. Der Kontrollfreak steckt auch in mir und so langsam wagt er sich immer mehr an die Oberfläche.
Wenn ich das Gefühl habe die Kontrolle zu verlieren, gerate ich oft in Panik. Als Kind wollte ich im Meer so weit hinaus schwimmen wie nur irgend möglich. Heute beunruhigt mich die Vorstellung nicht zu wissen, was sich in den Tiefen unter meinen Füßen befindet. Es gibt Situationen, da fällt es mir schwer, einfach loszulassen und mich treiben zu lassen. Das ist nicht immer so, teilweise ist mir Kontrolle gar nicht so wichtig. Ich muss nicht über alles die Kontrolle haben. Der Sack Reis, der in China umfällt, ist mir noch immer egal. Aber über mich. Ich möchte gerne wissen, was auf mich zukommt und worauf ich mich einstellen muss. Regelmäßig rufe ich im World Wide Web unzuverlässige Wetterdienste auf, damit ich schon am Montag planen kann, was ich auf die Party am Freitag anziehen soll. Seit neustem schreibe ich einen Terminplaner und habe am liebsten meine ganze Woche schon im Voraus durchorganisiert. Dann bin ich auch wieder locker.
Vielleicht ist dieser Befreiungsmarsch des inneren Kontrollfreaks auch so eine Sache des Erwachsenwerdens. Als Kind weiß man, dass da immer jemand ist, der Probleme löst. Wenn ich mich tief in die Wellen gewagt habe, dann lag meine Mutter auf ihrem Handtuch am Strand, hat sich in der Sonne gebräunt und doch immer ein wachsames Auge auf mich gehabt. Wenn ich mein Zimmer nicht aufräumen wollte, dann hat sie mich dazu gebracht (Immer dieses blöde Fernsehverbot….). Doch mit jedem Jahr wird mehr von uns verlangt. Wir müssen unser Rettungsnetz selber aufspannen, damit wir nicht abstürzen, wenn etwas Mal nicht so läuft wie wir es wollen. Plötzlich haben wir selbst die Verantwortung, die wir sonst so gut auf andere schieben konnten.
Und so ist es wahrscheinlich ganz normal, ab und an den Kontrollfreak raus zulassen. Er sichert uns doch nur das Überleben. Da kehrt man lieber noch ein drittes Mal um, um zu kontrollieren, ob das Auto auch wirklich abgeschlossen ist, als am nächsten Tag nur noch eine leere Parklücke vorzufinden. Solange wir es nicht übertreiben, ist der Kontrollfreak in uns eigentlich gar kein Freak. Vielleicht ist er einfach nur unsere Vernunft. Und ein wenig davon schadet sicher nicht.

Steckt in euch auch so ein kleiner Kontrollfreak? Wann kommt er zum Vorschein?

6 Kommentare bei „DER KONTROLLFREAK IN UNS ALLEN“

  1. Sehr schön geschrieben 🙂
    Ich glaube so lang sich das in Grenzen hält ist das völlig okay! Also so wie das bei dir klingt 😉
    Ich hab das gefühl ich musste mich schon immer oder einfach solang ich denken kann um alles kümmern deshalb weiss ich auch dass ich darauf vertrauen kann dass es schon irgendwie klappt:) wenn man den Punkt erreicht hat dreht man auch nicht um um nochmal nachzusehen sondern vertraut einfach darauf dass man alles dabei hat:)
    Okay. Ausser die Bus karte. Die halte ich dann krampfhaft in der Hand 😀
    Liebste Grüße 🙂

  2. Schöner Text! Ich denke auch, solange sich das etwas in der Waage hält und einen nicht durchgehend völlig unentspannt sein lässt ist das nicht nur in Ordnung ein kleiner Kontrollfreak zu sein, sondern wie du schon gesagt hast einfach vernünftig 🙂

    Liebe Grüße, Mona

  3. Das stimmt wohl. Aber ich weiß einfach, dass ich so vergesslich bin, das Kontrolle dann doch manchmal besser ist als Vertrauen. 😀 Die Buskarte habe ich immer im Portmonnaie und so lange ich das nicht vergesse, ist alles gut.

  4. Ja genau, man muss einfach die richtige Balance finden. 🙂

  5. danke für deinen kommentar 🙂 hab mich sehr gefreut!
    ich finde das ja immer interessant, wie jeder seine eigene theorie zu einem bestimmten thema hat. da kann man auch immer viel über einen menschen erfahren.

    ein kontrollfreak bin ich in einigen dingen tatsächlich auch… zum beispiel habe ich mir angewöhnt jedes mal, wenn ich das haus verlasse die stecker vom wasserkocher und toaster rauszuziehen und zu gucken, dass auch ja keine herdplatte mehr an ist. wenn ich längere zeit weg bin, zieh ich auch gern mal fast alle stecker in der wohnung. ich denke, dass solche verhaltensweisen, die sich immer mehr ausbilden, vor allem durch erfahrung kommen…zumindest bei mir, denn ich ziehe die stecker, weil mir erzählt wurde, dass ein wasserkocher supertückisch sein kann (von alleine angeht etc) oder weil erst neulich die bude von einem bekannten ausgebrannt ist, woran eine einfache stehlampe schuld war. das sind diese ängste, die man mit der zeit entwickelt. ich sage mir immer, dass ich so schlimme sachen nicht an mich heranlassen darf aber das ist so schwer. irgendwie nisten sich bestimmte dinge einfach in meinem kopf ein und verursachen dann so einen kleinen kontrollwahn, der versuchen will zu verhindern, dass mir dasselbe passiert.
    aber sonst bin ich superchaotisch 😀 ich find das allerdings nicht schlimm und versuche auch nicht groß was daran zu ändern, denn so bin ich einfach 🙂 nur ab und an muss eben mal ein bisschen ordnung geschafft werden, die jedoch nie lange hält, hihi.
    ich würde nur gern mehr von diesem kontrollwahn ablassen, zwecks steckerziehen oder dergleichen, denn das nervt mich und ist unnötige panikmacherei! naja, ein bisschen neurotisch sind wir wohl alle irgendwie 🙂

    schöner post!

    liebste grüße,
    maze

  6. Hallo liebe Hanna!

    Ich bin gerade zufällig auf deinen Blog gestoßen und fühlte mich sofort wohl. Hier hast du dir eine wirklich schöne Welt erschaffen. 🙂
    Deine Gedanken zur "Kontrolle" kann ich nur allzu gut nachvollziehen.. Auch ich gebe in vielerlei Hinsicht nur ungerne das Ruder aus der Hand…
    Mehr brauche ich gar nicht mehr zu schreiben, denn du hast es auf den Punkt gebracht. 🙂
    Ein toller Beitrag.

    Liebste Grüße,
    Feder Träumerin

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